Gebäudeatlas württembergisches Allgäu

Der rasante Strukturwandel unserer Zeit verdrängt vieles, was über Jahrhunderte herangewachsen ist: So auch die älteren Gebäude, deren Bestand sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verringert hat. Das Projekt „Gebäudeatlas württembergisches Allgäu“ will vor dem Hintergrund der rasanten Veränderungen der Baukultur auf dem Land die Sinne wieder schärfen für ein über lange Zeiträume entstandenes Stilbewusstsein. Es hatte in einer traditionellen, regionaltypischen Architektur Gestalt angenommen – und wird nun zurückgedrängt. Beinahe überall stößt man auf dieselben Bilder. Wo gestern noch ein älteres Gebäude mit seiner historisch gewachsenen Erscheinung das heimatliche Ortsbild prägte, stehen heute neue Wohnbauten. Dass es sich hierbei um eine oft austauschbare, meist landschaftsuntypische Bauweise handelt, ist aus heimatpflegerischer Sicht besonders bedauerlich.
Ein wichtiger Vorläufer des Gebäudeatlas-Projekts ist die „Allgäuer Dorffibel Wangen-Leutkirch-Isny“. Der frühere Verbandsdirektor beim Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben in Ravensburg und ehemaliger Baubürgermeister von Leutkirch, Georg Zimmer, legte darin einen Kanon von Gestaltungsprinzipien für das Bauen auf dem Land vor (1986). Der „Gebäudeatlas württembergisches Allgäu“, der hauptsächlich von Dr. Rainer Jensch erarbeitet wurde, wandte sich der Dokumentation alter Bausubstanz in den Allgäuer Dörfern zu. Es ging dabei weniger um denkmalgeschützte Vorzeigeobjekte, sondern vielmehr um die „einfachen, orts- und landschaftsprägenden Gebäude, vom großen Bauernhof bis zum kleinen Backhaus“, wie es in einer Projektbeschreibung der Fachgruppe Bauen der AG Heimatpflege hieß. 2692 Objekte sind erfasst. Wohn- und Bauernhäuser, Nebengebäude, aber auch technische Objekte, Kirchen, Kapellen Bildstöcke, Schlösser, Burgen und Ruinen. Von vielen ist die Dokumentation alles, was geblieben ist. Und was die Fotos in den Akten angeht, drängt sich ein Vergleich auf: Es sind heute Sterbebildchen.
Die Gelegenheit, das Projekt professionell anzugehen, ergab sich 1996. Mit Unterstützung verschiedener Geldgeber konnte die AG Heimatpflege eine auf ein Jahr befristete Personalstelle für die Bestandserhebung einrichten. Dass der Gebäudeatlas innerhalb sehr kurzer Frist zustande kam, ist ein Verdienst der professionellen Anleitung, aber auch die Folge der großen Einsatzfreude vieler Ortsheimatpfleger. Sie wurden bei der Erfassung der Bauten in Dörfern und weit verstreuten Einzelhoflagen auch von den Stadt- und Gemeindeverwaltungen unterstützt. Der Gebäudeatlas kümmerte sich zunächst um die flächendeckende Erhebung mit Hilfe eines vereinfachten Dokumentationsmusters. Er sicherte die Basisdaten. An den detaillierten Hausgeschichten weiterzuschreiben und besonders interessante Häuser gründlich zu erforschen – das bleibt in den nächsten Jahrzehnten eine spannende Daueraufgabe der Heimatpflege.

Rainer Jensch: Gebäudeatlas württembergisches Allgäu 1996/1997 (Wangen 1997)