Rutenfeste – Kinderfeste

In den ehemaligen freien Reichstädten der Region wie Isny, Leutkirch, Wangen und Ravensburg treffen wir noch bis zum heutigen Tag Kinderfeste oder Rutenfeste an. Sie stehen als Brauchkomplex mit den ehemaligen städtischen Schulen in Zusammenhang.

Das Examinieren der Schüler stellte stets eine Zäsur im Schulalltag dar und war mit strenger Abfrage, Belohnung und Strafe verbunden. Einprägsamer äußerer Ausdruck dieses Zusammenhangs war neben dem Buch als Zeichen der Gelehrigkeit die Rute als Ausdruck der Disziplin, Zucht und Strenge. Körperliche Züchtigung war bis ins 20. Jahrhundert ein allgemein anerkanntes Mittel der Kindererziehung, die nur bei zu großer Härte Missbilligung fand. Erst 1973 wurde die Prügelstrafe in der BRD per Gesetz verboten (in Bayern 1980). Darstellungen des Lehrers zeigten ihn jahrhundertelang stets mit Buch und Rute als festehenden Topos. Die Rute galt in alter Zeit geradezu als ein Standessymbol des Lehrers.

Beispiel: DAS WANGENER RUTENFEST
Um das Schneiden der symbolträchtigen Ruten gab es im Umfeld der Schule einen eigenen kleinen Brauchkomplex, der mit einem fröhlichen Fest verbunden war. So ist auch in Wangen schon früh das „in die Ruten gehen” nachzuweisen (ab 1604). In anderen Städten wird es auch als “Virgatumgehen” bezeichnet (von Virga = Rute) und gleichbedeutend mit Müßiggang verwendet. Dahinter verbarg sich ein gemeinsamer sommerlicher Wandertag der Schüler, bei welchem die ganze Kinderschar zu dem Wald geführt wurde, um sich zu vergnügen. Essen, singen und sogar Tanz war damit verbunden. Teilweise begleiteten Spielleute die Kinder, Lehrer und Eltern. In Wangen wurden Wein und Kirschen in rauhen Mengen gereicht, es muss also Ende Juni / Anfang Juli gewesen sein. Ob im Rahmen des „Rueten gehen“ tatsächlich die Hasel- oder Weidenruten geschnitten wurden, welche zur Aufrechterhaltung der schulischen Zucht nötig waren, ist nicht ganz klar, liegt aber nahe. Den Wangener Lehrerfamilien der lateinischen und und deutschen Mädchen- als auch Knabenschulen wurden dabei jedenfalls umfangreiche “Reichungen” gestattet, die sich in den Säckelmeisterrechnungen bereits zwischen 1604 und 1623 regelmäßig niederschlugen. So heißt es beispielsweise 1612:
„Auf Dienstag den 17. Juli sind beide Herren Schulmeister mit den Kindern in die Ruten gezogen, hernach bei mir im Rat auf die Kinder an Wein gangen 4 Quart …, um Brot auf die Kinder…, um Krießbeer [Kirschen]…, meine Herren mit den Herrn Schulmeister verzehrt…, jeden Schulmeisters Frau ein Quart Wein…Macht alles 6 Gulden…“.
Im Übrigen gelingt dieser Nachweis in Wangen zeitlich deutlich vor den heute noch bedeutenden Ravensburger, Landsberger oder Augsburger Pendants. Diese haben bis heute ihren Namen als Rutenfest behalten und sind eben auf jene Schülerfeste zurückzuführen. Es wird etwa in Ravensburg spekuliert, dass das Fest auch verbunden gewesen sei mit der Ehrung der Besten des Abschlussjahrganges mit einer Rute, die Zeichen für das Erlernen insbesondere der lateinischen Grammatik gewesen sei.

Übrigens gab es nachweislich eine ähnliche schulische Examination am Ende eines anderen Quatembers, nämlich am 5. Dezember, am Nikolausabend, wo der Einsatz von Ruten ebenfalls bestens belegt ist.

Spätestens mit dem Verlust der reichstädtischen Unabhängigkeit 1803/1810 und der neuen königlichen Obrigkeit war das Schulwesen in den Reichstädten im württembergischen Allgäu und darüber hinaus Veränderungen unterworfen. Zwar blieb das Schulwesen in kirchlicher Hand, doch der an den Quatembern des Kirchenjahres orientierte Schulalltag mit den damit in Zusammenhang stehenden Bräuchen entwickelte zunehmend ein Leben außerhalb der Schule. So wurde das in die Ruten gehen zunehmend zu einem allgemeinen Kinderfest, später ergänzt zu Heimatfesten mit allgemeinem Festbetrieb. Ein bis heute nicht wegzudenkendes Ereignis im Laufe des Jahres in den Städten Isny, Leutkirch und Wangen.

Stephan Wiltsche